Sehr interessant! Die Nachrichten speziell aus Deutschland sind derzeit zur Abwechslung sogar mal inspirierend: »Mehrere Zehntausend Menschen […] haben gegen steigende Mieten demonstriert. Dazu aufgerufen hat ein „Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“ von mehr als 260 Gruppen und Organisationen« (Quelle: Tagesspiegel, Hervorhebung nachträglich eingefügt).
Warum eigentlich wird der Mietwucher, um den es bei der offenbar durch die FDP angestoßene Debatte geht, als Wahnsinn bezeichnet? Tante Wiki merkt dazu an: »Als Wahnsinn wurden bis etwa zum Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte Verhaltens- oder Denkmuster bezeichnet, die nicht der akzeptierten sozialen Norm entsprachen« (Quelle: wikipedia). Andererseits ist es doch aber gesellschaftlich akzeptierte Norm, daß der Preis durch Angebot und Nachfrage geregelt wird. Kann es Wahnsinn sein, sich konform zu dem Wirtschaftskonzept – steigende Nachfrage erlaubt steigende Preise – zu verhalten, das definitorisch die Grundlage der (gesamten) Gesellschaftsordnung ist?
Also gut, der aktuelle Aktionismus gegen Mietwucher bringt sogar Enteignungen ins Spiel. Die Rückendeckung dafür leitet sich offenbar aus dem Artikel 14 GG ab:
(1) 1Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. 2Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) 1Eigentum verpflichtet. 2Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) 1Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. 2Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. 3Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. 4Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Kaum zu fassen, aber jetzt geht es tatsächlich um Wahnsinn, nämlich mit Artikel 3.1 GG: Wer entscheidet, was „zum Wohl der Allgemeinheit zulässig” sei? Die Mehrheit, die Stimmen aus dem Volksbegehr? Wirklich?! Punkt 2 gibt umgehend Antwort: die gesetzgebende Versammlung des Staates, also der Obrigkeitskaste entscheidet. Wie groß würden wohl die Erfolgsaussichten für (zugespitzt, aber letztlich eben doch) einen staatlich geregelten Kapitalismus sein? Die schrecklich schwammige Aussage (nicht nur) dieses Grundgesetzartikels zur Grundlage des Begehrs wider die Norm zu nehmen, ist das nicht Wahnsinn?
Doch damit nicht genug. Wenn denn das Gesetz nachgezogen würde, ginge der Wahnsinn weiter. Das Problem (Wohnungsknappheit mit daraus resultierendem Mietwucher) wird doch durch die Enteignung nicht behoben. Es würde nur verlagert werden. Auch staatlich bestallte oder geregelte Vermieter sind den Zwängen des Marktes unterworfen. Die Folgen sind eine zunehmende(!) Wohnungsknappheit, weil zu wenige Neubauten den weiteren (ungeregelten) Zuzug nicht werden kompensieren können, oder der Griff in die Staatskasse, also nach den Steuergeldern derjenigen, die jetzt schon zu wenig haben, um sich halbwegs angemessenen Wohnraum anmieten zu können.
Und nun das Sahnehäubchen: Mietwucher ist (derzeitig) geübte Praxis in der Bunten Republik, weil staatlich sanktioniert. Mietwucher ist aber zugleich auch eine permanente Enteignung der Mieter – und eine solche ist gemäß Art. 14 GG zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.
den Wahn auf den Punkt genagelt!
Unser Grundgesetz ist so weit von einer freiheitlichen Verfassung entfernt, wie Alpha centauri von der Erde. Keines unserer Grundrechte kann alleine für sich aufrecht stehen. Gänzlich anders als die US Verfassung.Jeder Artikel, jedes Recht, jede Freiheit wird sofort noch im gleichen, spätestens im nächsten Satz wieder zurückgenommen, relativiert und eingeschränkt. Mit dieser Verhandelbarkeit von Rechten und Freiheit geht es schnurgerade in die Diktatur.
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‘Diktatur’ ist ein großes Wort. Und sperrig ist es auch, aber jahrzehntelange Sprachdiktatur hat es konsensfähig gemacht. In der Bunten Republik sind die anderen Diktatoren oder halt einer Diktatur unterworfen. Dieses Mantra scheint dermaßen fest in den Köpfen verankert worden zu sein, daß der Splitter im Auge des anderen gesehen wird, der Balken im eigenen allerdings nicht…
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Wohnungsknappheit gibt es dann sicherlich immer noch. Allerdings gibt es dann mehr bezahlbaren Wohnraum auch für die Unterschicht. Langristig kann es doch nur gut für den Staat sein, wenn er auch an den Mieten verdient. Dass es kurzfristig eine Menge eld kostet die Eigner zu entschädigen, kann dem Staat doch egal sein.
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Ich hatte es ja bereits angerissen, daß ich es eben für sehr wahrscheinlich halte, daß die Wohnungsknappheit sich kaum verringern wird (für die „Unterschicht” wird sie sich eher noch verschärfen). Und ja, die per Grundgesetz zustehende Entschädigung kontakariert das Stichwort „Enteignung”. Gut ja, ein paar Rechte werden enteignet, die sind Geld wert. Aber es ist keine allzu einschneidende Enteignung, da der Staat sehr wohl Steuergelder verwendet, um den Verlust zu kompensieren. Der Steuerzahler gibt es gern (vor allem die „großen”, die groß genug sind, ihre Steuern beliebig zu reduzieren und ihr Eigentum weit entfernt vom durch das GG angemahnten Allgemeinwohl zu placieren).
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