Als ich diesen Gesellen hier links so hell leuchtend am Himmel gleißen sah, fiel mir ein Artikel wieder ein, nämlich dieser, den ich so langsam doch zu einem Abschluß bringen möchte. Was mich brennend interessiert, ist, welche Form und Größe die Bahn hat, welche die Erde bei der Umrundung der Sonne durchläuft.
O ja, ich höre förmlich das Gähnen gelangweilter Leser, die die Antwort hundertprozentig wissen und sich nicht zu schade sind, die Wahrheit auch zu verkünden: Die Bahn ist eine Ellipse; die Sonne steht in einem der beiden Brennpunkte; die große Halbachse mißt 1AE. 😴
Aber ja, diese Wahrheit kenne ich auch. Aber ist sie auch wahr, diese Wahrheit?
Die Abbildung zeigt die Erdbahn (blaue Linie) während eines Jahres (die hervorgehobenen Zahlen bezeichnen das jeweilige Monatsende; wir befinden uns aktuell kurz vor der 6). Während die Erde innerhalb des Jahres eine volle Umrundung der Sonne (im Koordinatenkreuz stehend, aber nicht eingezeichnet) schafft, bringt es der Jupiter (gelbe Linie) auf gerade einmal ein 30°-Segment.Der Jupiter beeinflußt die Erdbahn, die eine hübsche kreisähnliche Ellipse wäre, wenn es keine anderen Planeten neben der Erde gäbe. Aber es gibt sie. Allein deshalb driftet an diesem Punkt das Gespräch sehr gern in Richtung Apsidendrehung ab. Doch dieser „Ausflug” soll nicht heute stattfinden, denn über die Bahnform gibt es durchaus Spannendes zu berichten.
Da wäre beispielsweise der Blick auf den Drehimpuls. Bei einer ungestörten Ellipse ist diese Größe während des gesamten Umlaufs konstant, nicht aber bei der oben skizzierten Planetenkonstellation:Bereits hier ergibt sich eine klare Aussage: Weil der Drehimpuls bei der Umrundung der Sonne nicht konstant ist, läuft die Erde nicht auf einer Ellipsenbahn. Aber worauf dann? Das illustriert die nächste Abbildung, die sich nicht nur über 1 Erdjahr, sondern über ein Jupiterjahr (also knapp 12 Erdjahre) erstreckt:
Dargestellt sind die Radien der Schmiegekreise, die die Form der Erdbahn charakterisieren. Für die ungestörte Erdbahn wiederholt sich alle Jahre dasselbe Muster (blaue Linie). Die gravitative Wirkung des Jupiters stört diesen gleichmäßigen Verlauf und damit auch die Form der Bahn, auf der die Erde die Sonne umrundet.
Zur Illustration nachfolgend das Bild einer „echten” Ellipse mit zwei hervorgehobenen Schmiegekreisen:So ein Schmiegekreis ist für den Punkt, für den er bestimmt ist, und dessen unmittelbare Umgebung eine sehr gute Näherung für die Peripherie der Ellipse. In der obigen Abbildung sind nur zwei Schmiegekreise hervorgehoben, nämlich für einen der beiden Hauptscheitel und einen der beiden Nebenscheitel. Trägt man für einen kompletten Sonnenumlauf alle Schmiegekreise an, ergibt sich folgende Charakteristik:
Auffallend ist die (für eine Ellipse sehr wohl erwartete) Symmetrie. Zu erkennen sind die beiden minimalen Schmiegekreisradien, wie sie an den beiden Hauptscheiteln anzutreffen sind, und die beiden maximalen Radien von den Nebenscheiteln. Diese Abbildung ist ein 1-Jahres-Ausschnitt der weiter oben gezeigten 12-Jahres-Darstellung.
Zum Vergleich die vergrößerte Darstellung der Bahnform für das erste Jahr des oben gezeigten 12-Jahr-Zyklus‘:Während im ersten Jahresviertel die Bahnformen noch halbwegs ähnlich sind, ist die Bahnform in Sonnenferne deutlich „spitzer” als bei der ungestörten Ellipse (der Radius des Schmiegekreises ist kleiner). Auch der danach angesteuerte 2. Nebenscheitel ist deutlich spitzer als bei einer echten Ellipse. Dem Prinzip, nicht dem Maßstab nach handelt es sich also etwa um folgende „Kartoffelform”:
In der Realität betragen die Abweichungen von ungestörter und durch Jupiter verformter Ellipse je nach dem Stand der Planeten lediglich mehrere zehntausend Kilometer, was unter astronomischen Gesichtspunkten sicherlich vernachlässigbar ist (sofern man nicht gerade den Proviantbedarf für einen kurzen Weltraum-Spaziergang plant). Dennoch wird die Erdbahn durch den Jupiter nicht nur ausgebeult und eingedellt, sondern auch gestreckt und gestaucht. Folgen dieses Einwirkens sind, daß wir weder auf einer Ellipsenbahn um die Sonne reisen, noch einen (festen) Wert für die große Halbachse zur Verfügung haben. Nicht zu vergessen die Folgerung, daß nicht alles, was irgendwie in Druckform abrufbar ist, verläßliches Wissen darstellt. Oder auch: Nicht nur in der großen Politik sollte man die Kunst des Zweifelns kultivieren…