Ach nö!

Die Wertung zuerst, und die ist m. E. mies. Nicht ganz mies, denn da wäre noch Spiel­raum nach unten, aber mies im Sinne von „deutlich unter­halb wohl­wol­lenden Mittel­maßes”. Eines Mittel­maßes, wie man es für populär­wissen­schaft­liche Bücher sinn­voller­weise erwarten sollte.
Den Zugang zu dem Buch (siehe unten) findet man wohl am ehesten, wenn man es als Werbe­prospekt für ein Audit der beson­deren Art versteht. Im Unter­titel heißt es: »Was unsere Entschei­dungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können«. Es geht um Ent­schei­dungen, die in der Gegenwart auf der Grund­lage von Fakten getroffen werden, um bewußt oder unbewußt Weichen­steller für zukünftige Fakten­sets zu sein. Beispiele gibt es überall: ein Lehrer, der Schüler­leistungen benotet; ein Investor, der Anlage­entschei­dungen trifft; ein Richter, der ein Strafmaß zuteilt; ein Arzt, der einen Heilungs­plan entwirft; eine Gemeinde, die über eine Umgehungs­straße zu entscheiden hat; eine Firma, die über Anstellung oder Nicht­anstellung eines Bewerbers befindet; eine Gesund­heits­behörde, die die Aufmerk­sam­keits­verteilung unter allge­gen­wärtigen Viren­stämmen radikal zu adjustieren gedenkt; …

Das Schema ist immer gleich. Es gibt als Ausgangs­punkt ein mehr oder weniger solides Fakten­set, das bewertet wird und zur Recht­ferti­gung einer Fest­legung (Schulnote, An- oder Nicht­anstellung, Strafmaß etc.) dient. Schön wär’s, wenn bei gleichem Fakten­set auch immer gleiche Fest­legungen resul­tieren würden, also Art und Umfang der abgelei­teten Fakten nicht vom Beurteiler noch vom Beurteilten oder von Ort und Zeit der Urteils­findung abhängen würden. Das tun sie aber eben doch, und zwar in erheb­lichem Ausmaß, wie die Autoren zu beteuern nicht müde werden.
Wenn empirisches Material zu vergleich­baren Entschei­dungs­fällen zur Verfügung steht, ist der Zugang zum Thema leicht zu erlangen, das Schlüssel­wort heißt Statistik. Und wie geht man bei Einzel­entschei­dungen vor, für die es – der Name sagt es – keine Vergleichs­fälle und demnach auch keine Statistik gibt? Nun, dafür haben die Buch­autoren ein Postulat: »[Man sollte] einmalige Urteile als wieder­kehrende Urteile betrachten, die nur einmal getroffen werden.« Dieser geniale Schachzug erlaubt es, stati­stische und psycho­logische Narrative zu vermengen, ohne auch nur eine Zehntel­sekunde lang über die Gültig­keits­grenzen derartigen Tuns nach­zudenken. Entscheidend ist offenbar die markt­schrei­erische Botschaft, daß Streuung („Noise”, was zugleich der Buchtitel ist) beliebig weit vermeidbar ist. Dazu später noch ein paar Worte.

Freilich sind statistische Kenn­zahlen kalte sterile Werte, für die wir keinen Sinn (wie etwa Sehen, Schmecken, Fühlen) haben. Und selbst­verständ­lich ist es trainierbar, beispiels­weise mit dem Korrela­tions­koeffi­zienten so vertraut umzu­gehen wie mit dem Pro-Kopf-Einkommen einer Bevöl­kerungs­gruppe. Man kann aber auch einen bequemeren Gesichts­winkel wählen, um statt mit dem Korrela­tions­koeffi­zienten mit der viel leichter vorstell­baren Häufigkeit zu argumen­tieren, mit der man bei zwei will­kür­lich ausge­wählten Vergleichs­objekten eine bestimmte Ausprägung ihrer Merkmale antrifft (→  Seite 123):
Diese Tabelle illustriert die eingangs erwähnte Wertung auf außer­ordentlich schmückende Weise. Über die Gültigkeit dieser Substi­tutions­tabelle ist wenig und das auch nur im Kleinge­druckten zu erfahren: sie gilt bei bivariater Normal­verteilung der jeweils betrach­teten Merkmals­ausprä­gungen. Dennoch wird diese Tabelle im gesamten Buch immer wieder zitiert, ohne auch nur ein einziges Wort darüber zu verlieren, ob sie für den jeweils beschrie­benen Sach­verhalt über­haupt anwendbar ist.
Gleiche Tabelle, andere Frage: Welchen Informa­tions­vorteil darf man bei der vorge­führten 1:1-Substi­tution zwischen zwei Kenn­zahlen erwarten? Es sind ein paar Silben über den Komfort­gewinn zu lesen, aber keine über einen vermeint­lichen Informa­tions­vorteil. Doch es geht noch schlimmer: Absolutes Still­schweigen herrscht über die Werte r = -1 bis r < 0 (bzw. 0% ≤ PC < 50%).
Dieses eine Beispiel soll genügen – sapienti sat.

Immerhin ist im Buch der Begriff „Respekt-Experte” zu lesen. Damit sind Fach­leute gemeint, deren Urteils­fähigkeit durchaus nicht besser als die aller anderen zu sein braucht, die aber einen guten Ruf haben (wie auch immer der zustande gekommen sein mag). Ob wohl auch dieses Buch bzw. dessen Autoren vom Schimmer dieses Begriffs erleuchtet sind? In Kurz­fassung klingt das Buch nämlich so: Wir sehen eine verheerende Gefahr, niemand außer uns kann sie überhaupt oder mit gleicher Klarheit sehen, wir haben die einzig wirksame Medizin … und hier ist der Vertrags­vordruck, mit dem ihr uns heuern könnt, um allen Noise aus eurem Institut zu verbannen, wahr­schein­lich müssen wir die Therapie von Jahr zu Jahr wiederholen…

aussichtslos

Täusche ich mich oder waren die Sprech­blasen anläßlich des Inter­natio­nalen Frauen­tages in Deutschland noch nie so hohl und belanglos wie in diesem Jahr? Ja, recht­liche Gleich­stellung ist essentiell. Ja, für die Gleich­berech­tigung mußte und muß in manchen Ländern noch gekämpft werden. Ja, es ist sinnvoll, derer zu gedenken, die historisch gewachsene Ver­schro­ben­heiten bekämpf(t)en, um sie durch einen gesell­schaft­lichen Standard der Gleich­berech­tigung zu ersetzen.
Aber wie paßt die – um nur mal ein einzelnes Beispiel heraus­zugreifen – in diesem Jahr (wohl wegen Mangels wahr­haftiger „Probleme”) laut­stark herum­posaunte Mär ins Bild, Frauen müßten für Rasier­creme & Co mehr als die Männer berappen? Gibt es ernst­zuneh­mende Beispiele für Benach­teili­gungen, die Frauen wider­fuhren, weil sie Männer­kosmetik für sich verwen­deten? Werden Frauen gezwungen – womöglich von weißen alten Männern, die sich nicht am Mutter­sprach­mord durch Genderi­sierung beteiligen – das Zeugs inbrünstig (zu welchem über­zogenen Preis auch immer) zu begehren, das seitens der Werbung mit absurden Schönheits­versprechen über­frachtet ist? Oder treibt womöglich die Nachfrage nach unhalt­baren Mach­barkeits­lügen den Preis in absurde Höhen?

Vertrauen

Vor ein paar Tagen bin ich über einen – mit Verlaub! – recht merk­würdigen Beitrag gestolpert (nämlich diesen), in dem es darum gehen soll, der Statistik beim „6 aus 49”-Lotto ein Schnipp­chen zu schlagen. Vorge­stellt werden 17 Zahlen, die eine höhere Reali­sierungs­wahr­schein­lichkeit als die übrigen 32 Zahlen haben sollen. Von diesen sind sogar zwei Zahlen genannt (nämlich 11 und 19), die eine kleinere Wahr­schein­lichkeit als die rest­lichen 30 Zahlen aufweisen und deshalb dringend gemieden werden sollten. Als Bild sähe das so aus (die favori­sierten Zahlen sind grün und die zu meidenden Zahlen sind rot hervor­gehoben):Leider ist in dem oben verlinkten WP-Artikel nicht gesagt, wann die Wahr­schein­lich­keits­aussagen gültig sein werden bzw. gewesen sein sollen. Die heute, am 11.11.2020, gezogenen Zahlen – in der Abbildung türkis markiert – geben Anlaß zu tiefstem Mißtrauen.
Da die 49 Einzel­zahlen in gleichem Maß wahr­schein­lich bzw. unwahr­schein­lich sind, besitzt das heute ausge­würfelte Ziehungs­resultat, nämlich 1 Zahl im grünen, 2 im roten und drei im neutralen Bereich anzu­treffen, gerade einmal eine Eintritts­wahr­schein­lichkeit von 0,494 %. Deutlich wahr­schein­licher wäre es beispiels­weise, einmal grün und einmal rot und 4 × neutral anzu­treffen, nämlich 6,663 %. Noch häufiger (17,324%) wäre die Auf­teilung der gezogenen Zahlen in 2 × grün und 4 × neutral (also kein rotes Feld).
Diese letztgenannten „Vorgaben” regel­mäßig in mehr als einer von sechs Ziehungen zu überbieten, nämlich 3 oder mehr Treffer in der Favo­riten­liste anzu­treffen, wäre ein Beleg für einen über die Normal­verteilung hinaus­gehenden Wissens­vorsprung durch die „Lotto­beratung”, der eine Investition von Vertrauen mögli­cher­weise recht­fertigen könnte.

dual

Dem Nummernschild nach ein Elektro-Auto, aber mit einem Dual­motor, also mit – dem Namen nach – zwei Verfahrens­weisen. Wobei Ver­fah­ren in einem auto­mobilen Kontext mögli­cher­weise nicht gerade umsatz­steigernd sein dürfte, aber sei’s drum. Doch welche zwei Verfahrens­weisen sind es denn nun, die diesen Elektro(!)-Motor aus­zeich­nen? Gleich- und Wechsel­strom? Oder Vorwärts- und Rück­wärts­fahrt? Oder wie oder was? 😁

Murkswarnung

Vor ungefähr sieben Monaten hatte ich mir ein neues Fahrrad gegönnt. Das alte war zwar noch gar nicht so recht abge­wirt­schaftet, war aber so langsam doch in die Jahre (nein, eher in kilo­meter­bedingte Verschleiß­regionen) gekommen, in denen dicht auf dicht eine Reparatur nach der anderen erfor­der­lich geworden wäre. Also sollte ein neuer Draht­esel her und ein neues Fahr­rad­schloß (das alte war schon arg klap­perig; und ich mag bei Radtouren nunmal nichts Klap­perndes – wie soll man denn dabei schlafen?) und ein neuer Tacho­meter.
Dieser Tacho war … wie sagt man’s diplo­matisch? … war mögli­cher­weise gut gedacht, aber saumäßig gemacht. Der besondere Pfiff: Die vom Magnet­sensor aufgenom­menen Impulse werden nicht per Kabel an den Tacho geleitet, sondern per Funk übertragen. Super! Und so modern. Und so gänz­lich über­flüssig! Mittler­weile habe ich erfahren dürfen, daß die Sensor­batterie (bei Viel­fahrern?) kaum ein halbes Jahr lang hält. Ein ökologisch komplett unsin­niges Konzept.
Der Tachometer war mit genau einer Funktions­taste ausge­rüstet. Mehr brauchte er auch nicht, da die mini­mali­stische Version – Geschwin­digkeit, Fahr­strecke und -zeit – meine Wünsche exakt erfüllte. Doch nicht immer sind aller guten Dinge drei. Man muß offenbar auch einen vierten Wunsch ein­fordern, nämlich eine funktions­fähige Hardware bzw. Funktions­taste. Denn letztere – und das ist das Sahne­häubchen! – war ab Werk nur zum Gucken, nicht zum Betätigen vorge­sehen. Und das sowohl beim ersten Tacho als auch beim ersten Austausch­tacho und beim zweiten Austausch­gerät auch.

Mittlerweile habe ich mich von diesem Schrott getrennt. Vor ein paar Minuten habe ich einen anderen Tacho ange­bracht (anderer Her­stel­ler; Konkur­renz belebt tat­säch­lich das Geschäft!) und in ein paar Minuten werde ich ein bißchen radeln… Ach, ehe ich es vergesse: das Murks­fabrikat stammt von Sigma® und trägt den Artikel­namen PURE 1/ATS.

Multiplikatorwirkung

Möglicherweise stelle ich in wenigen Sekunden zwei Dinge in einen kausalen Zusam­menhang, den es überhaupt nicht gibt. Dann bitte ich um Vergebung und werde 12 Rosen­kränze Grund­regeln der Statistik runter­beten.
Seit Corona-Infektionen in Deutsch­land auch medial ange­kommen sind, muß eine unsägliche Reklame nicht mehr in der Flimmer­glotze erduldet werden. Ganz genau: „DU HAST ES MIR VERSPROCHEN!” ist gemeint. Der Haus­tyrann, der seinen Hedo­nismus über Gesund­heit und viel­leicht gar Leben seiner Vasallen stellt. Selbst in viro­logi­schen Friedens­zeiten öffnet allein das einen erschüt­ternden Blick auf das Bild, das so mancher Werbe­fuzzi offenbar von der kleinsten sozialen Zelle vor Augen hat. Kriminell wird diese Werbung aller­dings durch ihr Werbe­versprechen: Nimm das Zeug, alles wird inner­halb weniger Minuten gut und du brauchst niemanden zu enttäuschen.
Aber! Das beworbene Zeug verschafft höchstens Linderung, indem es Symptome reduziert. Die Krank­heits­keime sind noch immer da! Doch man fühlt sich fit genug, mit diesen Keimen unter­nehmungs­lustig dichtes Volks­gedränge aufzusuchen, um sie höchst effizient an möglichst viele Mitmenschen zu verteilen…

DSL-Lethargie

Die Qualität meiner elektro­nischen Anbindung an die Welt ist – wie sag ich’s diplomatisch? – unter­irdisch mies. Online braucht man mit niemandem beim Dienst­anbieter zu verhandeln: deren Remote-Messungen an der DSL-Verbindung „beweisen” allesamt 100 % und mehr Qualität. Aber! Da ist ja noch die sogenannte „letzte Meile”, die in der Hoheit desjenigen Konzerns liegt, der sich die Magenta-Farbe hat schützen lassen…
Heute habe ich mir die Zeit genommen, mit meinem Online-Dienst­anbieter von Angesicht zu Angesicht darüber zu verhandeln, ob es wirklich keine Alter­native gibt zu einer DSL-Anbindung, die spielend von jedem einbeinigen Nach­richten­läufer mit Asthma überholt wird. Die Berater­krampe griff prompt nach einem Katalog und offerierte ein Angebot, das unterm Strich nur das Doppelte dessen kosten würde, was ich derzeit berappe. Meine Frage nach der Garantie für eine mindestens vierfach höhere Qualität blieb selt­samer­weise unbeantwortet.
Also freue ich mich auf die rasant voran­schreitende Digi­tali­sierung, von der ich bereits jetzt, im miesesten Quintil herum­dümpelnd, technisch de facto abgehängt bin…

Frage

Bei den Algo­rithmen, die aus Konsum­verhalten und Auslagen­besichtigung indi­viduelle Werbe­strategien ableiten (sollen), gehe ich derzeit – das mag sich in Bälde ändern, aber ich meine aktuelle Qualitäten – von Oberfläch­lichkeiten ohne jeden Tiefgang aus. Es scheint, als hätte Rudi Ment diese Algo­rithmen konzipiert.
Wenn ich beispiels­weise auf einer Porno-Webseite herumsurfe, wird mein Mail-Account überflutet mit allfäl­ligen SPAM-Mails zu Viagra oder Penis­verlän­gerungen (irgend­wann werde ich mir mal beim Spazie­ren­gehen auf das gute Stück treten). Aber wo bleibt die Werbung für das Buch Mormon oder für das „Jack·the·Ripper”-Starterset oder so?

Wahl-o-mat

Irgend so ein öffentlich-rechtlicher Radio­sender hat heute früh mit vor Ergrif­fenheit dahin­schmel­zender Stimme gesäuselt, daß der Wahl-o-mat (Europawahl) noch nie so regen Zuspruch fand wie in diesem Jahr…
Warum drängen sich nach einer solchen poli­tischen Null­aus­sage prompt etliche Fragen in den Mittel­punkt der Aufmerk­samkeit? Welcher bemer­kenswerte(!) Fakt soll vermittelt werden? Oder geht es, obwohl Nachrich­tenbeitrag, doch um Werbung? Werbung für mehr Wahl-o-mat oder weniger? Braucht es diese Krücke, weil von den Wählern (♀♂) ange­nommen wird, sie könnten in den Wahl­programmen keine signi­fikanten Unter­schiede wahr­nehmen? Gibt es überhaupt signi­fikante Unter­schiede? Werden nur die Wähler als profillos angesehen oder gilt das auch für die sich zur Wahl stellenden Parteien?
Wieviel Manipulations­potential steckt eigentlich in den Algorithmen solcher Software?

Killer-Sudoku

Da habe ich mir mal wieder ein Sudoku-Heft­chen geleistet. Es war das Werbe­stich­wort „Inklusive Killer Sudokus”, das mich zugreifen ließ.
Die zugrunde liegende Idee ist recht inter­essant. Es werden nicht mehr einzelne Zahlen vorge­geben, sondern die Summen der Zahlen in verschie­denen Zell­bereichen, die jeweils aus zusammen­hängenden Einzel­zellen, welche über ihre Seiten (nicht Ecken) benach­bart sind, gebildet werden. Solche Zell­bereiche sind im hier gezeigten Beispiel jeweils farblich hervor­gehoben. Mehr als vier Farben braucht es nicht, aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Was wollte ich noch sagen? Ach ja, der Name mag zwar reißerisch sein, ist aber gänz­lich über­zogen. Es handelt sich ledig­lich um eine nied­liche kleine Spiel­variante. Gekillt wird höch­stens die hibbelige Freude an einer ernst­haften Heraus­forderung…