Zeitkapsel

Kino aus der Anfangs­zeit dieser dar­stel­len­den Kunst hat mit dem heutigen Kino sicher­lich nichts mehr gemein. Keine zehn Pferde würden mich dazu bringen, mir einen heutigen Film anzu­schauen, der vor Äkschn nur so strotzt. Aber zwischen den Bio­scop‑Film­streif­chen der Gebrüder Skla­da­nowsky und dem Wahr­neh­mungs­reiz‑Tsu­nami, der an heutigen Film­kon­sumen­ten ent­fes­selt wird, um deren abge­stumpf­te und nur noch mittels Groß­kali­bers berühr­bare Sinne anzu­regen, gab es auch Kino­filme, die zu recht den dar­stel­len­den Künsten zuzu­rechnen sind (Beto­nung auf Kunst).
Diese sind recht leicht daran zu erkennen, daß sie zum einen etwas zu sagen haben und daß zum anderen die cinea­stischen Hilfs­mittel Werk­zeuge zum Hervor­heben eben dieser Botschaft und nicht etwa reiße­rische Ange­bereien sind, die völlig belang­lose und beliebig aus­tausch­bare „Hand­lungen” als Alibi für ihre narziß­tische Selbst­dar­stel­lung mißbrauchen. Damit sind aber derartige „Kunst”-Filme immer auch Doku­mente ihrer Zeit. Das sind moderne Filme zwar auch; nur sind in heutiger Zeit offen­bar andere Dinge wichtig…

Und dann kommt gerade ein Film in die Kinos, zu dem u. a. in einer Rezen­sion folgendes zu lesen ist: »Was wäre noch über einen Film zu sagen, der schon vor seinem Kino­start so viel allge­meine Aner­ken­nung bekommen hat, mit Festival-Beifall, guten Kritiken und Preisen bedacht wurde?« (Quelle: zeit.de; Hervor­hebung nach­träg­lich hinzu­gefügt). Ja, es geht um die jüngste Ver­filmung eines „Sitten­gemäldes”, das auf den Roman Berlin Ale­xan­der­platz (1929 von Alfred Döblin) zurück­geht. Auch Romane sind Zeugen der Zeit, in der der Autor sein Kunst­werk schuf. Doch sollte man wirk­lich davon aus­gehen, daß die über­lie­ferte Zeit­kapsel besser wird, wenn sie nach rund 90 Jah­ren mit Versatz­stücken der aktu­ellen Mode­erschei­nungen, zu denen durchaus auch poli­tischer Unfug und sinn­be­freite Massen­hysterie gezählt gehören, „ange­reichert” wird?

Pedanterie

So um das Jahr 1930 herum schrieb Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigen­schaften folgende Sätze: »Genauigkeit, als mensch­liche Haltung, verlangt auch ein genaues Tun und Sein. Sie verlangt Tun und Sein im Sinne eines maxi­malen An­spruchs. Allein hier ist eine Unter­schei­dung zu machen.
Denn in Wirk­lich­keit gibt es ja nicht nur die phan­tasti­sche Genauig­keit […], sondern auch eine pedan­tische, und diese beiden unter­scheiden sich dadurch, daß sich die phanta­stische an die Tatsachen hält und die pedan­tische an Phan­tasie­gebilde. […] Es gibt also in Wirk­lich­keit zwei Geistes­verfas­sungen, die einander nicht nur bekämpfen, sondern die gewöhnlich, was schlimmer ist, neben­ein­ander bestehen, ohne ein Wort zu wechseln, außer daß sie sich gegen­seitig versichern, sie seien beide wün­schens­wert, jede auf ihrem Platz. Die eine begnügt sich damit, genau zu sein, und hält sich an die Tatsachen; die andere begnügt sich nicht damit, sondern schaut immer auf das Ganze und leitet ihre Erkennt­nisse von so­genann­ten ewigen und großen Wahr­heiten her. Die eine gewinnt dabei an Erfolg, und die andere an Umfang und Würde. Es ist klar, daß ein Pessimist auch sagen könnte, die Ergeb­nisse der einen seien nichts wert und die der anderen nicht wahr
« (Quelle: Der Mann ohne Eigen­schaften, Band I, Lizenz­ausgabe des Verlages Volk und Welt, Berlin 1980).
Und nun, knapp einhundert Jahre später, sei ganz schlicht die naive Frage erlaubt, ob die aktu­elle Gene­rali­sierung von Rassis­musvor­würfen, von ge­schlechter­spezi­fischem Aktio­nismus, von Mutter­sprach­mord oder die rüc­kwirkende Geschichts­berei­nigung eher zum Stich­wort Genauigkeit oder nicht viel­leicht doch zur Pedanterie zu zählen ist?

Geist

So um das Jahr 1930 herum schrieb Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigen­schaften folgende Sätze: »Es ist so natürlich, daß der Geist als das Höchste und über allem Herr­schende gilt. […] Was kann, schmückt sich mit Geist, verbrämt sich. Geist ist, in Verbin­dung mit irgend­etwas, das Verbrei­tetste, das es gibt. Der Geist der Treue, der Geist der Liebe, ein männ­licher Geist, ein gebil­deter Geist, der größte Geist der Gegen­wart, wir wollen den Geist dieser und jener Sache hoch­halten, und wir wollen im Geiste unserer Bewe­gung handeln […].
Aber wenn Geist allein dasteht, als nacktes Haupt­wort, kahl wie ein Gespenst, dem man ein Lein­tuch borgen möchte, – wie ist es dann? Man kann die Dichter lesen, die Philo­sophen studieren, Bilder kaufen und nächte­weise Gespräche führen: aber ist es Geist, was man dabei gewinnt? Ange­nommen, man gewönne ihn: aber besitzt man ihn dann? Dieser Geist ist so fest verbunden mit der zufälligen Gestalt seines Auftretens! Er geht durch den Menschen, der ihn aufneh­men möchte, hindurch und läßt nur ein wenig Erschüt­terung zurück. Was fangen wir mit all dem Geist an? Er wird auf Massen von Papier, Stein, Lein­wand in geradezu astro­nomischen Ausmaßen immer von neuem erzeugt, wird ebenso unab­lässig unter riesen­haftem Verbrauch von nervöser Energie aufge­nommen und genossen: Aber was geschieht dann mit ihm? Ver­schwin­det er wie ein Trugbild? Löst er sich in Partikel auf? Entzieht er sich dem irdischen Gesetz der Erhaltung? Die Staub­teilchen, die in uns hinab­sinken und langsam zur Ruhe kommen, stehen in keinem Verhältnis zum Aufwand.
« (Quelle: Der Mann ohne Eigen­schaften, Band I, Lizenz­ausgabe des Verlages Volk und Welt, Berlin 1980).
Beim Lesen dieser Passage wabert, auch wenn ich mich mit Titanen­kraft dagegen wehre, eine bunt schil­lernde Seifen­blase vor meinem geistigen (sic!) Auge durch das Asso­ziations­zentrum, auf der die Frage lesbar ist: Und wie ist das mit Blog-Portalen?

Jugend

So um das Jahr 1930 herum schrieb Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigen­schaften folgende Sätze: »… der Spott der Jugend, ihre Auf­leh­nung gegen das Beste­hende, die Bereit­schaft der Jugend zu allem, was heroisch ist, zu Selbst­auf­opfe­rung und Verbrechen, ihr feuriger Ernst und ihre Unbe­stän­digkeit, alles das bedeutet nichts als ihre Flucht­bewe­gungen. Im Grunde drücken diese bloß aus, daß nichts von allem, was der junge Mensch unter­nimmt, aus dem Inneren heraus notwendig und eindeutig erscheint, wenn sie es auch in der Weise ausdrücken, als ob alles, worauf er sich gerade stürzt, überaus unauf­schieb­bar und notwendig wäre. Irgend jemand erfindet einen schönen neuen Gestus, einen äußeren oder einen inneren […], und augen­blick­lich stürzen, wie die Spatzen von den Dächern, wenn man Futter streut, die jungen Seelen darauf zu. […] Ist irgend etwas natür­licher, als daß jeder leiden­schaft­liche Mensch sich noch vor den gewöhn­lichen Menschen dieser neuen Form bemächtigt?!« (Quelle: Der Mann ohne Eigen­schaften, Band I, Lizenz­ausgabe des Verlages Volk und Welt, Berlin 1980).
Wer diesen so hinreißend scharf­sinnig beobach­teten Lebens­abschnitt bereits hinter sich hat, dürfte eher Zustimmung als Ablehnung empfinden. Hingegen werden wohl eher entweder Unver­ständnis oder aufbe­geh­rende Ableh­nung dominieren, wo er gerade erst erlebt oder noch auf ihn zuge­steuert wird. Doch wann und warum wird aus der feurigen Glut der Jugend die kalte Asche des All­tags­trotts, während uns das „Förder­band” der Marke Entropie auf der Zeit­schiene Jahr um Jahr weiter­schiebt?

[Holbachinstitut, W.S.] Nietzsche: Kritik der Tiere

Wolfgang Sofsy Friedrich Nietzsche: Kritik der Tiere Menschen pflegen, sofern sie sich nicht als die Krone der Schöpfung mißverstehen oder sich zu höchstem Wesen erheben, als Teil der Natur zu begreifen, eng verwandt mit Gorillas, Schimpansen oder Bonobos. Sie glauben allerdings, über einen gesunden Menschenverstand zu verfügen, welcher den Tieren abgehe. Womöglich verhält es sich […]

zum kompletten Post im Original: Friedrich Nietzsche: Kritik der Tiere — Aufklärungen

visionär

So um das Jahr 1930 herum schrieb Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigen­schaften folgende Sätze: »… wenn wir damals [in der Jugend­zeit] Behaup­tungen auf­stell­ten, so hatten sie auch noch einen anderen Zweck als den, richtig zu sein; eben den, uns zu be­haup­ten! – So viel stärker war in der Jugend der Trieb, selbst zu leuchten, als der, im Lichte zu sehen …« (Quelle: Der Mann ohne Eigen­schaften, Band I, Lizenz­ausgabe des Verlages Volk und Welt, Berlin 1980).
Auch rund neunzig Jahre später scheint das damals Gesagte längst nicht an Gül­tig­keit verloren zu haben. Ganz im Gegen­teil, es scheint sogar für die Mehr­heit der Blogger (♀♂) – und beileibe nicht nur auf die Jugend beschränkt – eine der domi­nie­renden Profil­facetten genau­estens zu beschreiben. Das nenne ich Weit­sicht… 🤭

gehemmt

So um das Jahr 1930 herum schrieb Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigen­schaften folgende Sätze: »Wenn [die Menschen] etwas Besonderes von sich hermachen wollen, setzen sie sich nicht auf den Wolken­kratzer, sondern aufs hohe Roß, sind geschwind wie der Wind und scharf­sichtig, nicht wie ein Riesen­refraktor, sondern wie ein Adler. Ihr Gefühl hat noch nicht gelernt, sich ihres Verstandes zu bedienen. […] Es bedeutet also kein gar kleines Glück, wenn man darauf kommt, […] daß der Mensch in allem, was ihm für das Höhere gilt, sich weit altmodischer benimmt, als es seine Maschinen sind« (Quelle: Der Mann ohne Eigen­schaften, Band I, Lizenz­ausgabe des Verlages Volk und Welt, Berlin 1980).
Rund neunzig Jahre später ist das alles freilich ganz anders: Der Zauber­lehrling hat seit langem schon seine Lektionen gelernt.

Qualitätssprung

So um das Jahr 1930 herum schrieb Robert Musil in seinem Roman Der Mann ohne Eigen­schaften folgende Sätze: »Unge­mein viele Menschen fühlen sich heute in bedau­erlichem Gegensatz stehen zu ungemein viel anderen Menschen. Es ist ein Grundzug der Kultur, daß der Mensch dem außer­halb seines eigenen Kreises lebenden Menschen aufs tiefste mißtraut, also daß nicht nur ein Germane einen Juden, sondern auch ein Fuß­ball­spieler einen Klavier­spieler für ein unbe­greif­liches und minder­wertiges Wesen hält« (Quelle: Der Mann ohne Eigen­schaften, Band I, Lizenz­ausgabe des Verlages Volk und Welt, Berlin 1980).
Rund neunzig Jahre später ist das alles freilich ganz anders, wie es allein schon ein kurzer Blick in die Medien hin­läng­lich illu­striert. Da frage ich mich aller­dings, wer wann welchen Schalter umgelegt hat, um die anthro­polo­gisch neue Menschen­güte einzu­schalten.

[blondyonly] Sprachfaschisten

Beinahe hatte ich die Hoffnung schon aufge­geben, jemanden z. B. bei WordPress zu finden, der die Verge­waltigung, die unserer Mutter­sprache angetan wird, nicht still­schweigend hinnimmt. 😁

Seelenhygiene

Es ist wohl schon immer so gewesen, aber von Zeit zu Zeit merkt man es halt besonders. Dieser stechende, brennende und brutale Schmerz im Kopf, wenn so wie heute wieder jemand bei Heise  fordert, daß man beim Umgang mit Computersystemen nicht mehr White List und Black List oder Master und Slave nutzen solle. Schließlich wären das ja rassischtisch motivierte Begriffe. Man weiß garnicht wohin man zuerst kotzen soll. Als könnte eine Farbe rassistisch sein. Als gäbe es nicht immernoch auch schwarze Sklavenhalter (Stichwort: Boko Haram). Als hätte Sklaverei etwas mit Rassismus zu tun. Echten Arschlöchern ist doch die Hautfarbe egal!

Diese Sprachfaschisten haben keine Ahnung von Sprache. Nicht von der Entstehung und auch sonst nicht. Trotzdem, oder besser deswegen, wollen sie die Sprache verbiegen, verstümmeln und zerstören. Ich lese keine Texte mit Binnen-i oder *in oder solchem Scheiß. Nicht aus Prinzip, sondern weil ich es nicht kann. Die gendergerechten Texte…

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