Was aktuell in Deutschland zu beobachten ist, erzeugt in mir gräßlichstes Unwohlsein. Nein, ich meine nicht SARS-CoV 2 und die damit einhergehenden Vorsichtsmaßnahmen, jedenfalls vordergründig nicht. Und ich meine auch nicht, daß rund fünfzig mehr oder weniger prominente Künstler dieser Tage zu diesem Themenkreis mehr oder weniger satirische Beiträge gepostet haben (Quelle u. a. Nordkurier), die quer durch das politische und unpolitische Spektrum der Konsumenten zu recht absurden Reaktionen führten. Nein, das alles ist zweitrangig! Gruselig wird es allerdings, wenn man hinter der Schaufassade nach dem tragenden Stützwerk sucht.
Um auf möglichst kurzem Weg zum Thema zu kommen, hier mal ein Zitat von Viktor Klemperer (ja, das ist der Autor des Buches LTI): »Ich […] war noch so ganz gewohnt, in einem Rechtsstaat zu leben, daß ich damals vieles für die tiefste Hölle hielt, was ich später höchstens für ihren Vorhof, für den Danteschen Limbo [= Limbus] nahm. Immerhin: soviel schlimmer es auch kommen sollte, alles, was sich noch später an Gesinnung, an Tat und Sprache des Nazismus hinzufand, das zeichnet sich in seinen Ansätzen schon in diesen ersten Monaten ab« (Quelle: berühmte-zitate; Hervorhebung nachträglich hinzugefügt). Aber wir sind, nehmen wir den Beginn der Epidemie als Startpunkt, nach über einem Jahr längst nicht mehr in den ›ersten Monaten‹.
Den Buchstaben nach gibt es Meinungsfreiheit in Deutschland. Den Buchstaben nach darf Satire alles. Nur ist die Realität offenkundig kein Buchstabensalat. Sie hält sich an ganz andere Regeln! Was kann es besseres geben als eine Satire, die jemanden anspricht, die zu Reaktionen beim Angesprochenen führt? Eine Satire, die nicht mehr als braven, müden Applaus hervorruft, nennt man politisches Kabarett. Bei diesem entrichtet man einen Obolus dafür, einem anderen bei seiner Hirnwichserei zuzuschauen, die niemanden befriedigt.
Nun haben sich rund fünfzig mehr oder weniger prominente Künstler dieser Tage ins Licht der Aufmerksamkeit gedrängt. Und freilich gab’s – auch, aber nicht nur – Gegenwind. Dieser führte dazu, daß reihenweise die als anstößig deklarierten Beiträge „zurückgezogen” wurden: uiuiui, das war ja gar nicht so gemeint. Also gut, war es halt eben doch keine politische Aussage, sondern ein verzweifelter Versuch, der Dumpfheit eines viel zu langen Berufsausübungsverbotes zu entfliehen.
Es ist tragisch, wenn ein Staat mit einem Fingerschnipsen Tausenden von Menschen die Existenzgrundlage raubt. Es ist aber auch tragisch, daß der Staat seine Funktionen nicht im Rahmen der in langwierigem Ringen erreichten demokratischen Errungenschaften wahrnimmt, sondern diese mit einem Fingerschnipsen qua Ermächtigungsgesetz als nichtig erklärt. Aber vollends entsetzlich ist die in der Bevölkerung schon dermaßen weit vorangetriebene Indoktrination der postulierten Alternativlosigkeit. Ein erschreckend großer Anteil hat sich nämlich „aus freien Stücken” gegen die „Abweichler” gestellt, und zwar aus Prinzip, nicht aus Gründen oder Sachzwängen.
Der Begriff Faschismus leitet sich vom Wort „fascio” [= Bund, Bündel] ab. Wenn alle Meinungen gebündelt und gleichgeschaltet sind, wenn abweichende Meinungen unter Zwang ganz „freiwillig” zum Schweigen gebracht werden und es dafür sowohl eine breite Zustimmung als auch eine willige Bereitschaft zum Mittun in der Bevölkerung gibt, ist dann wieder einmal ein Zustand erreicht, in dem das obige Klemperer-Zitat erneut gültig wird?